Der Führungserfolg hängt nicht nur von den Persönlichkeitsmerkmalen der Führungskraft ab, sondern auch von den Rahmenbedingungen wie z. B. dem Schwierigkeitsgrad der Arbeitsaufgabe, der Positionsstufe der Führungskraft im Unternehmen, in denen sich die Führungskraft bewegt, und auch vom „Reifegrad“ der Mitarbeiter.
Einstufung der Mitarbeiter nach ihrem Reifegrad
Mitarbeiter werden nach Reifegraden eingestuft in vier Mitarbeiterarten. Die Einstufung erfolgt über Beobachtung. Meist bilden die durchschnittlichen Mitarbeiter und Leistungsträger die Mehrheit aller Mitarbeiter:
Der situative Führungsstil wird flexibel angewandt. Die Situation, in der geführt wird, bestimmt das Führungsverhalten.
In den 1970er Jahren haben P. Hersey und K. H. Blanchard das Reifegradmodell entwickelt. Die Mitarbeiter werden in vier Reifestadien eingeteilt. Dieser Einteilung entsprechend wird ein Zusammenhang zwischen dem Reifegrad des Mitarbeiters, dem Führungsverhalten der Führungskraft und der Effizienz der Führung hergestellt.
Im Reifegradmodell geht man davon aus, dass die Führungskraft mit Hilfe von Tests oder Qualifikation den Reifegrad eines Mitarbeiters bestimmt und ihn dementsprechend mehr oder weniger stark mitarbeiter- oder aufgabenbezogen führt.
Hersey und Blanchard unterscheiden zwischen:
- Beziehungsorientierung = unterstützendes, lobendes Verhalten der Führungskraft
- Aufgabenorientierung = dirigierendes Verhalten mit detaillierten Instruktionen
Der Reifegrad eines Mitarbeiters hängt ab von:
- der Übernahme von Verantwortung
- Kompetenz (Wissen und Können)
- Motivation
- Engagement (Motivation und Zutrauen)
Daraus ergeben sich vier Reifegradstadien:
Der Reifegrad eines Mitarbeiters wird aus der Kombination von Motivation bzw. von seinem Willen (= psychologische Reife) und von der Fähigkeit (= Arbeitsreife) geprägt.
Reifegrad 1: geringe Reife = mangelnde Fähigkeit und mangelnde Motivation
Reifegrad 2: geringe bis mäßige Reife = vorhandene Motivation, mangelnde Fähigkeit
Reifegrad 3: mäßige bis hohe Reife = Fähigkeiten sind da, Motivation fehlt
Reifegrad 4: hohe Reife = Fähigkeit und Motivation sind vorhanden
Hersey und Blanchard empfehlen den Führungskräften je nach Reifegrad unterschiedliche Vorgehensweisen bzw. Führungsstile.
In der Regel starten neue Mitarbeiter im Reifegrad 2 ihre neue Tätigkeit. Sie sind noch nicht in ihrer Kompetenz vollständig entwickelt. Jedoch sind sie hoch motiviert. Diese Mitarbeiter werden in der ersten Einarbeitungsphase lenkend geführt. In der zweiten Phase der Einarbeitung wird zum integrierenden Führungsstil gewechselt.
Wie wird idealerweise der Mitarbeiter in den einzelnen Reifegraden geführt?
Der Reifegrad ist nicht absolut zu sehen, sondern stets in Relation zur gestellten Aufgabe. Ein und derselbe Mitarbeiter kann also zum gleichen Zeitpunkt eine geringe Reife im Hinblick auf eine bestimmte Aufgabe haben oder eine hohe Reife im Hinblick auf eine andere Aufgabe.
Häufige Merkmale der verschiedenen Reifegrade
Reifegrad 1 – geringe Reife – Autoritärer Führungsstil – Aufgabenorientierte Führung
Die Führungskraft lenkt durch Anweisungen, strukturierende Vorgaben und durch eine gewisse Kontrolle der Umsetzung.
- FK strukturiert, plant und priorisiert
- FK ordnet an, bestimmt, diktiert (Arbeitsanweisungen)
- FK entscheidet und informiert
- FK setzt Ziele und entwickelt Aktionspläne
- FK lehrt und erklärt, wie die Aufgabe zu erledigen ist und gibt klare Anweisungen
- FK überprüft die Umsetzung (Kontrolle) formuliert klare Aufgaben
- FK ist verantwortlich für Entscheidungen und Problemlösungen
- FK kontrolliert und bewertet die Arbeit des Mitarbeiters
Reifegrad 2 – geringe bis mittlere Reife – Integrierender Führungsstil – Aufgaben- und mitarbeiterorientierte Führung
Die Führungskraft stärkt das Selbstvertrauen des Mitarbeiters, indem sie Mitarbeiter Entscheidungen erklärt (Nachvollziehbarkeit) und gleichzeitig klare Anweisungen gibt.
- FK erkennt Probleme und setzt Ziele
- FK erklärt dem Mitarbeiter seine Vorstellungen und fragt nach dessen Ideen; kommuniziert verstärkt mit dem Mitarbeiter
- FK trifft – ausgehend von den Ideen des Mitarbeiters – die endgültige Entscheidung über das weitere Vorgehen
- FK erklärt und verdeutlicht Entscheidungen und Prozesse
- FK gibt immer öfters komplexere Aufgaben weiter und erklärt die Vorgehensweise
- FK entwickelt einen Aktionsplan zur Problemlösung und bespricht ihn dann mit dem Mitarbeiter
- FK überprüft das Arbeitsergebnis und hinterfragt die Vorgehensweise
- FK steuert und bewertet die Arbeit des Mitarbeiters
- FK gibt Rückmeldung und lobt
- Bei Fehler reflektiert die FK mit dem MA den Prozess und gibt Hilfestellung zur Fehlervermeidung (Mitarbeiterförderung)
- FK gibt Anerkennung (Lob) für die Entwicklung
Reifegrad 3 – mittlere bis hohe Reife – Partizipativer Führungsstil – Mitarbeiterorientierte Führung
Die Führungskraft tauscht sich mit dem Mitarbeiter über die Aufgabe aus und beteiligt den Mitarbeiter in der Entscheidungsfindung. Sie vermeidet direktive Führung!
- FK und MA klären mögliche Konflikte und entwickeln Lösungen
- Wenn der MA nicht motiviert ist, dann sollte die FK die Motive für die Frustration oder Demotivation kennen bzw. erkunden. Gab es in der Vergangenheit Konflikte, die noch ungeklärt sind und die Motivation des Mitarbeiters bremsen? Sind Vereinbarungen nicht eingehalten worden? Gab es unterschiedliche unausgesprochene Erwartungen, die jetzt die Motivation bremsen?
- FK bezieht die Mitarbeiter in den Prozess der Problemdefinition und der Zielsetzung mit ein
- FK teilt die Verantwortung für die Problemlösung und Entscheidung mit dem Mitarbeiter
- FK ermutigt den Mitarbeiter, Vorschläge zu machen – der Mitarbeiter wird mitbeteiligt im Entscheidungsprozess
- FK ermutigt den Mitarbeiter, selbst Entscheidungen zu treffen
- FK fragt nach, hört zu und fördert selbstständiges Arbeiten
- FK bietet Unterstützung, Hilfen und Ideen an
- FK lebt eine wertschätzende Feedbackkultur und fördert den Mitarbeiter in seinem Feedbackverhalten
- FK zeigt Verständnis für Entwicklung und beruhigt, wenn es erforderlich ist
- FK bewertet die Arbeit des Mitarbeiters gemeinsam mit ihm
Reifegrad 4 – hohe Reife – Delegationsstil – Mitarbeiter weitgehend selbstständig arbeiten lassen
Die Führungskraft überträgt sowohl die Entscheidungs- und auch die Durchführungsverantwortung. Der Mitarbeiter zeigt eine hohe Reife in Bezug auf das Wissen und Können. Er ist engagiert und willens, eine Aufgabe weitgehend selbständig zu bearbeiten.
- FK gibt herausfordernde Aufgaben zur selbständigen Erledigung an den MA.
- FK überträgt die Aufgabe mit klarer Zielsetzung in Qualität und Quantität (Ergebnis)
- MA kennt seinen „Hut“ und weiß, für was er verantwortlich ist
- MA erstellt Konzept und plant den Ressourceneinsatz
- FK erteilt die erforderlichen Befugnisse
- FK gibt Freiraum und sorgt für den Rahmen
- FK begleitet stärker in Form von Coachinggesprächen bzw. jour- fixe Terminen
- FK gibt Hilfestellung, wenn der MA sie einholt
- MA kennt den Stand seiner Ergebnisse und kann jederzeit Auskunft über den Stand geben
- MA involviert die FK, wenn das Ergebnis nicht erzielt werden kann
- FK und MA pflegen eine offene, gegenseitig loyale und partnerschaftliche Kommunikation
Tipps für die Führung abhängig von den Reifegraden
Underperformer
- Erforschen Sie die Ursachen. Machen Sie keine vorschnellen Einstufungen.
- Stellen Sie dem Mitarbeiter offene Fragen! Erkunden Sie die Gründe!
- Schauen Sie nicht weg und treffen Sie klare Entscheidungen.
- Eine dauerhafte schlechte Leistung erzeugt Unmut im Team und bremst die Gesamtleistung aus.
- Möglicherweise fühlt sich Ihr Mitarbeiter mit den Aufgaben überfordert und erlebt täglich negativen Stress. Negativer Stress macht auf Dauer krank.
- Soziale Verantwortung: Gibt es vielleicht Tätigkeiten im Unternehmen, die der Mitarbeiter besser ausführen könnte? Sprechen Sie rechtzeitig mit der Personalabteilung.
- Charakterschwächen wird Ihr Mitarbeiter nicht verändern können. Prüfen Sie ob, Sie und das Team und Ihre Kunden mit einer Charakterschwäche leben bzw. umgehen können. Hier sind Entwicklungsgespräche oftmals auf beiden Seiten frustrierend, weil der Mitarbeiter es nicht verändern kann. Ausnahme: Ihr Mitarbeiter ist zur Selbstreflexion bereit.
Eskalationsstufen:
- Stufe 1: Klärungsgespräch
- Stufe 2: Kritikgespräch
- Stufe 3: Verweis bzw. Abmahnung
Sprechen Sie vorher mit der Personalabteilung, da viele rechtliche und formale Faktoren eingehalten werden müssen. Sie verlieren Sie an Glaubwürdigkeit, wenn die Abmahnung nicht rechtsgültig ist oder von der Geschäftsleitung wieder zurückgezogen wird, weil es nicht der Unternehmenskultur entspricht.
- Stufe 4: Kündigung
Durchschnittliche Mitarbeiter
- Anforderungen an die Stelle konkret formulieren
- Stellenbeschreibung prüfen und aktualisieren
- Klare Ziele setzen, fordern und fördern
- Bedeutung der Aufgabe erklären und die Auswirkung und Wirkung nach außen bei mangelndem Ergebnis aufzeigen
- Enge Kontrolle und Ergebnisse überprüfen in Qualität und Quantität prüfen
- Herangehensweise an die Aufgaben reflektieren
- Rückmeldung zum Arbeitsergebnis geben
- Leistungseinbrüche aufzeigen und Maßnahmen definieren
- Eigenverantwortung einfordern
- Schriftliche Darstellung der Aufgaben und der Entwicklungsfelder definieren. Maßnahmen vereinbaren und Meilensteine zur Entwicklung definieren.
- Vermeiden Sie, dass Sie die Arbeiten Ihres Mitarbeiters auf Dauer selbst erledigen!
- Achten Sie darauf, dass nicht andere Mitarbeiter die Tätigkeiten dieses Mitarbeiters miterledigen, weil er möglicherweise ein Sympathieträger ist oder in eine Opferhaltung geht.
Leistungsträger
- Herausfordernde Ziele vereinbaren
- Gestaltungsspielräume geben
- Eigenständigkeit und Selbständigkeit zulassen
- Mitarbeiter im Entscheidungsprozess mit integrieren
- Gespräche – mehr in Form eines offenen Gesprächs: Wie ist der Stand? Wo liegen Herausforderungen? Wie werden diese gemeistert? Welche Erfolgserlebnisse gab es in jüngster Vergangenheit? Auf was ist Ihr Mitarbeiter stolz?
- Rahmenbedingungen prüfen und evtl. optimieren
- Anerkennung für Leistung oder für besondere Einsätze geben
Top-Performer
- Hier gelten die gleichen Faktoren wie bei den Leistungsträgern
- Definieren Sie den Rahmen klar.
- Achten Sie darauf, dass Ihr Top-Performer auch die administrativen und Routinearbeiten erledigt. Setzen Sie hier Deadlines. Auch für sie gelten die Regeln wie für alle anderen Mitarbeiter auch. Sonst werden die anderen Mitarbeiter frustriert.
- Achten Sie darauf, dass er nicht am Ziel vorbeischießt. Sprechen Sie mit ihm über den Grad der Zielerreichung.
- Top-Performer holen sich Unterstützung, wenn sie diese brauchen.